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Radfahren und Naturschutz: Perspektiven und Ansätze ausgewählter Schutzgebiete

Im Rahmen des NAT:KIT-Projektes wurden zwischen November 2022 und Januar 2023 Interviews mit Mitarbeitenden der Verwaltungen von zwei Naturparken, zwei Biosphärenreservaten und zwei Nationalparken in Deutschland durchgeführt. Ziel der Interviews war es, die fachlichen Perspektiven der Verantwortlichen zum Themenfeld Radfahren und Naturschutz abzubilden und vertiefende Einblicke in die bestehende Praxis zu erhalten.

Der nachfolgende Beitrag ist eine Zusammenfassung der Antworten zu den zentralen Fragen der schriftlichen Interviews, der von den Interviewpartner:innen freigegeben wurde. Auf die Verwendung des Konjunktivs zur Kennzeichnung der indirekten Rede wurde zugunsten der besseren Lesbarkeit verzichtet.

Die Interviewfragen betrafen die Bereiche …


  • Beeinträchtigung von Schutzgütern der Biodiversität durch Radfahrende,

  • aktuelle und potenzielle Konflikte, die sich hieraus ergeben,

  • Reaktionen der Schutzgebietsadministration hierauf sowie

  • den Bedarf an bikespezifischen Besuchermanagement-Maßnahmen.


Befragt wurden die Verantwortlichen in folgenden Schutzgebieten:

  • Nationalpark Eifel

  • Nationalpark Schwarzwald

  • Naturpark Lahn-Dill-Bergland

  • Naturpark Siebengebirge

  • Naturpark und Biosphärenreservat Bayerische Rhön

  • Biosphärenreservat Pfälzerwald

Entstehen Konflikte im Schutzgebiet hinsichtlich der Beeinträchtigung von Schutzgütern der Biodiversität durch Radfahrende?

Grundsätzlich dienen Schutzgebiete dem langfristigen Erhalt von Natur- und Landschaftsräumen sowie der darin existierenden biologischen Vielfalt. In diesem Zusammenhang ist die menschliche Nutzung im Sinne von Veränderungen und Störungen den Schutzgütern der Biodiversität nicht zuträglich. Gleichzeitig sind Schutzgebietsadministrationen für Erholung, Bildung und Forschung zuständig. Indem das Radfahren und Mountainbiken Besuchenden einen größeren Bewegungsradius erlaubt als Fußgänger:innen, werden Radfahrende schneller als Mitverursachende von Naturschutzkonflikten vermutet.

Aufgrund fehlender Untersuchungen und unzureichender fundierter Datengrundlagen ist jedoch weitestgehend unklar, wie stark die Beeinträchtigungen in Bezug auf die Biodiversität tatsächlich sind. Darunter fallen auch systematische Untersuchungen unter Berücksichtigung der jeweiligen Lebensräume und geografischen Besonderheiten der Gebietsregionen.

Schutzgüter der Biodiversität werden nach Einschätzung der Expert:innen dann beeinträchtigt, wenn Wegegebote nicht eingehalten werden und ein hoher Nutzungsdruck, einhergehend mit Beunruhigung und Lärm aufgrund unzureichender Angebote, vorhanden ist.

Es wird unter anderem weiterhin diskutiert, ob fehlende Angebote zu höheren Störungseffekten führen oder der lenkende Effekt solcher Angebote ausreichend ist. Zudem ist offen, ob im Fall von Infrastrukturangeboten (MTB-Strecken) auch der Effekt kumulativer Störung in Form von Nutzung bislang unberührter Gebiete generiert wird.

Folgende Faktoren erschweren zudem die tatsächliche Bewertung der Einflüsse durch Radfahrende und Erholungsuchende auf die Schutzgebiete:


  • zum Teil veraltete bzw. unzureichend digitalisierte Biotopkartierungen

  • fehlende systematische Untersuchungen der Reaktionen der jeweiligen Arten und Lebensräume auf Erholungsuchende (z. B. Zurückweichen der Tiere, Aufgabe von Brutplätzen, Trittschäden, Vermüllung etc.)

  • Abhängigkeit der Populationsdichte spezifischer Arten von mehreren Faktoren (z. B. Populationsschwankungen, Verlust von Überwinterungsgebieten, Nahrungsmangel, klimatische Faktoren etc.)


Da Konflikte durch Erholungsuchende inklusive Radfahrende nicht ausgeschlossen werden können, wird im Allgemeinen eher von potenziellen Beeinträchtigungen oder potenziellen Störungen durch Radfahrende ausgegangen.

Folgende potenzielle punktuelle Beeinträchtigungen durch Radfahrende finden Erwähnung:


  • Anlegen nicht genehmigter Trails innerhalb des Schutzgebietes (oft als Reaktion auf fehlende Angebote, aufgrund unzureichender Informationen über den Schutzstatus oder dessen bewusster Vernachlässigung aufgrund subjektiven Interesses)

  • Verdichtung und Erosionsschäden

  • Zerschneidung sowie Zerstörung der Vegetation

  • Nutzung von Radwegen, die einer temporären Sperrung unterliegen, beispielsweise während der Brut- und Setzzeit

  • Störwirkung auf verschiedene Tierarten durch Aufschrecken und Verdrängung (genannte Gründe: höhere Geschwindigkeit, größerer Bewegungsradius von Radfahrenden sowie Fahrten in sensiblen Tages- und Nachtzeiten)

  • Nutzung unerlaubter Wege und Wanderpfade (inklusive Unmut anderer Nutzergruppen, erhöhte Unfallsgefahr auf Wanderpfaden)


Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, dass (diese) Beeinträchtigungen durch Freizeitnutzung im Allgemeinen ausgelöst werden können. Hier spielt die Zunahme der Frequenz an Freizeitnutzungen ebenso eine Rolle wie das räumliche und zeitliche Verhalten der Besuchenden. Wege können potenziell tierische Migration beeinträchtigen sowie Wegenutzungen die Tiere stören.

Welche Schutzgüter der Biodiversität sind wie stark betroffen?

Von den Gebieten wird insbesondere die Beeinträchtigung von Vegetationsbeständen, spezifischen Arten und sensiblen Lebensräumen angeführt. Diese Wahrnehmungen sind aufgrund der Diversität der Gebiete unterschiedlich und werden im Folgenden kurz zusammengefasst.
Es ist darauf hinzuweisen, dass die Bewertungen und eine Quantifizierung der betroffenen
Schutzgüter zum Teil nicht zuverlässig eingeschätzt werden konnten, da es an einem (guten) Monitoring und damit einer zuverlässigen Datengrundlage dazu fehlte.

Im Fall des Anlegens unautorisierter Bike-Trails in der breiten Fläche werden folgende Auswirkungen benannt und bewertet:


  • Auswirkungen auf den Boden: meistens eher gering durch Bau und Nutzung, teilweise weiterführende Auswirkungen im Fall offener Bodenstellen, durch erodierte Trails, manuelle Aufschüttungen oder Ausgrabungen

  • Auswirkungen auf Fauna: gering bis stark durch Eingrenzung von Lebensräumen, Unterbrechung von Ruhe- und Futterphasen sowie kleiner werdende Rückzugszonen, zum Teil Aufgabe von Gelegen, Datenlage lückenhaft

  • Auswirkungen auf Flora: eher stark, wenn es zur Zurückdrängung von Vegetation kommt


Durch das Radfahren kann es zur Verletzung und Tötung von Amphibien und Reptilien auf den Wegen kommen. Gleiches gilt für Jungtiere wie Kaulquappen und Jungkröten, z. B. zur Laichzeit in Pfützen.

Aktivitätsunabhängig wird bei Nichteinhaltung des Wegegebots die Störung vor allem bodenbrütender Vögel, die Beunruhigung anderer Tiere, die Beschädigung von Pflanzen und die Förderung von Erosionsprozessen genannt. Alle Besuchenden sind gleichzeitig als Vektoren für Tierseuchen oder invasive Arten nicht auszuschließen. Durch den Aktionsradius von Radfahrenden kann die Verbreitung potenziell noch umfassender in das Schutzgebiet getragen werden.

Wie reagiert die Schutzgebietsverwaltung darauf?

Die Schutzgebietsverwaltungen haben verschiedene Reaktionen daran anknüpfend entwickelt, die hier beispielhaft aufgeführt werden:

Mehrheitlich wird die Bedeutung von Maßnahmen im Bereich des Stakeholdermanagements betont. Darunter fallen unter anderem die Zusammenarbeit und Abstimmung zwischen Schutzgebietsverwaltung und Mitgliedskommunen sowie die Einbindung relevanter Akteur:innen auf regionaler, Kreis- und Landesebene. Während einige Gebiete den Bedarf nach einem nachhaltigen Austauschformat (z. B. Runder Tisch) betonen, haben andere Gebiete bereits eine Koordinierungsstelle für die Besucherlenkung gebildet, die aus Vertreter:innen von Landesforsten, Naturschutzverwaltung, Umweltverbänden, Touristikverband, Wanderverein und Schutzgebietsverwaltung besteht. Dieser Kreis tagt zwei- bis dreimal jährlich und entscheidet über Vorhaben im Besuchermanagement.

Im Bereich Personalressourcen und -bedarf werden weitere Unterschiede zwischen den Schutzgebieten deutlich. Einigen Schutzgebieten fehlt es an der Finanzierung von Personalstellen für das Besuchermanagement. Andere Gebiete konnten spezielle Informationseinrichtungen zur Besucherlenkung schaffen und mit hiesigem Personal ausstatten. Auch wurden weitere Stellen für Ranger:innen geschaffen bzw. deren Einsatz im Gelände intensiviert. Andere Schutzgebiete haben vermehrt Mitarbeitende der Ordnungsbehörden eingesetzt, um Kontrollen durchzuführen und potenziell Bußgelder auszusprechen. Um der Digitalisierung im Besuchermanagement Rechnung zu tragen, hat ein Gebiet eine Projektestelle hierzu eingerichtet, ein anderes einen Digital-Ranger im Einsatz.

Im Sinne der Besucherlenkung und -information wird an verschiedenen Stellen durch Beschilderung und Hinweistafeln zudem auf das Wegegebot und zusätzliche Schutzmaßnahmen aufmerksam gemacht. Einige Gebiete arbeiten auch mit der Verblendung vorhandener Wege, beispielsweise durch Aufschüttungen und den gezielten Wegerückbau. Die Kommunikationsmaßnahmen der Schutzgebiete werden durch Beiträge auf der eigenen Website, die Datenpflege in Online-Portalen sowie durch Veranstaltungen ergänzt. Im Bereich der
Angebotsgestaltung werden außerdem von einigen Gebieten (weitere) legale Angebote entwickelt und Trailplanungen für Mountainbiker:innen vorgenommen. Als weitere Maßnahmen werden artenschutzrechtliche Gutachten, Kompensationsausgleiche oder die Untersuchung von Lösungsmöglichkeiten für Konfliktsituationen innerhalb einer universitären Masterarbeit genannt.

Als Herausforderungen im Themenkomplex Besuchermanagement von Radfahrenden werden hohe bürokratische Hürden, Verzögerungen, Meinungsänderungen relevanter Akteurinnen und Akteure, aktive Lobbyarbeit gegen Projekte und die Wahrnehmung einer Ungleichbehandlung des Themas Mountainbike gegenüber anderen Freizeitaktivitäten angeführt.

Welcher Bedarf an Besuchermanagement und -lenkung besteht im Schutzgebiet?

Alle Befragten sind sich einig, dass ein (sehr) hoher Bedarf an Besuchermanagement und -lenkung besteht, der je nach Schutzgebiet im Umfang variiert. Dies bezieht strategische Vorüberlegungen, operative Prozesse und organisatorische Strukturen der Schutzgebietsverwaltungen ein.

Neben den zuvor genannten Maßnahmen, die sich bereits dem Besuchermanagement zuordnen lassen, werden Bedarfe in folgenden Bereichen von den Befragten benannt:

Rahmen


  • institutionelle Zusammenarbeit

  • Versachlichung von Argumentationen auf erwiesene Tatsachen

  • politische und naturschutzfachliche Abwägungen transparent trennen


Besuchermonitoring

  • Monitoring zur Auswirkung des Radfahrens auf die Schutzgüter für Entscheidungen zu Angebotsvorhaben

  • Monitoringsysteme zur Auswertung des Nutzungsverhaltens und zur Wirkungsmessung umgesetzter Maßnahmen


Angebotsgestaltung

  • Realisierung von Angeboten zugunsten der Besucherlenkung

  • Wegenutzung unterschiedlicher Aktivitätsformen vermeiden und gut organisieren


Besucherlenkung

  • Optimierung fahrradbezogener Besucherlenkung und Beschilderung

  • Hinweise im Gelände auf Ge- und Verbote

  • Kontrolle der Strecken, Ahndung von Verstößen


Besucherinformation

  • gute interne Kommunikation zugunsten einer guten externen Kommunikation

  • direkte Kommunikation mit Besuchenden vor und während des Aufenthaltes, analog und digital, nutzergruppengerechte Information (z. B. in die Mountainbike-Community)

  • Sensibilisierung für den Naturschutz

  • Hinweise auf gegenseitige Rücksichtnahme


Digitales Besuchermanagement

  • Optimierung der Besucherlenkung im digitalen Raum

  • regelkonforme Darstellung digitaler Inhalte im Schutzgebiet (dem Ansatz und Projektziel von Digitize the Planet folgend)

  • Geo-Daten- und OSM-Management sowie Überprüfung auf Regelkonformität

  • Arbeit mit GPS-Portalen und Kontaktaufnahmen mit Nutzer:innen bei regelwidrigen Inhalten


Die Verantwortlichen wurden darüber hinaus zu ihren bereits umgesetzten und geplanten Maßnahmen im Bereich des Besuchermanagements befragt. Die Informationen sind in den NAT:KIT-Maßnahmenkatalog eingeflossen. Besonders gelungene Beispiele werden als Good Practice im digitalen Toolkit vorgestellt. Sie geben einen tieferen Einblick in die Maßnahmenplanung, -umsetzung und die Erfahrungen der befragten Schutzgebiete.

Weiterführende Informationen

Umweltauswirkungen des Mountainbikens:
www.mtf.bike/umweltauswirkungen